LGBTQ+: Darum hat es mit uns allen zu tun

Shownotes

Jeder hat bestimmte Vorstellungen davon, was „typisch männlich” oder „typisch weiblich” ist. Auch in der Liebe gibt es solche Rollenbilder – also Erwartungen, wer sich in wen verlieben sollte. Doch nicht alle passen in die Schubladen, die viele im Kopf haben. So geht es Menschen, die queer sind.

Doch was bedeutet eigentlich LGBTQ, wofür stehen die einzelnen Buchstaben und wie ist es, Teil dieser Community zu sein? Das erfahrt ihr in dieser Folge von "PUR+ Wissendrin"! Eric erzählt, wie es war, sich als einziger Junge in der Klasse nicht für Fußball zu interessieren und nie eine Freundin zu haben. Und auch Ricarda spricht über ihre Erfahrungen. Sie ist lesbisch und verrät euch, was es mit „Labels“ auf sich hat.

Außerdem lernt ihr Nick kennen. Er wurde bei seiner Geburt aufgrund körperlicher Merkmale für ein Mädchen gehalten und hat einen langen Weg zu seiner Identität als Trans-Junge hinter sich. Das Ablegen von Äußerlichkeiten wie Kleidern oder langen Haaren war dabei nur ein erster Schritt. Heute blickt er zuversichtlich in die Zukunft und ist froh, dass er sein kann, wie er ist – und alle anderen ihn auch so sehen.

Letztlich, so ist sich Eric sicher, sind wir alle viel mehr als die Schubladen, in die andere uns stecken wollen. Deshalb ist es für uns alle gut, wenn wir uns die Mühe machen, die Rollenbilder in unseren Köpfen auch mal zu hinterfragen.

Diesen Podcast und viele TV-Folgen der Sendung PUR+ findet ihr auf: https://www.zdf.de/kinder/purplus

"PUR+ Wissendrin mit Eric" ist eine Produktion von Kugel und Niere - im Auftrag des ZDF - und der Redaktion PUR+

Moderation: Eric Mayer
Gäste/Expertinnen: Katja Sabisch, Ricarda Hofmann
Autorinnen dieser Folge: Lena Kohlwes, Nadja Stein, Brigitte Böttcher
Sounddesign: Joscha Grunewald
Produktionsleitung Kugel und Niere: Michael Bartlewski
Redaktion Kugel und Niere: Lena Kohlwes
Produktionsmanagement ZDF: Markward Barollo, Sylvia Wahmes
Redaktion: Brigitte Böttcher, Susanne Dittebrand
Leitung der Sendung: Silke Penno
Kontakt: wissendrin@zdf.de

Transkript anzeigen

Hi Leute, hier ist Eric. Heute geht es um ein Thema, das viel mit mir persönlich zu tun hat. Wie viel, das erfahrt ihr in ein paar Minuten. Aber vor allem hat dieses Thema im Grunde auf die eine oder andere Weise mit uns allen zu tun. Auch wenn man das vielleicht erstmal gar nicht denkt und einem das Wort Queer oder die Buchstaben-Reihung LGBTQ+ überhaupt nichts sagt. Nach dieser Wissendrin-Folge werdet ihr natürlich genau wissen, was ich meine.

Aber fangen wir doch erstmal so an, mit einem Gefühl. Kennt ihr das Gefühl, nicht so richtig reinzupassen? Irgendwie anders zu sein? Nicht dazu zu gehören? Dieses Gefühl kann einen in so vielen Bereichen erwischen. Also ich hatte das früher zum Beispiel, wenn es um Fußball ging.

So ziemlich alle Jungs in meiner Klasse fanden Fußball einfach nur cool. Mir hat Fußballspielen überhaupt keinen Spaß gemacht. Heute ist das kein Problem für mich. Aber früher in der Schule war es das schon so ein bisschen. Denn immer wieder kamen von anderen dumme Bemerkungen über meine Fußballskills. Na, Angst vorm Ball? Hast du überhaupt schon mal ein Tor geschossen? Oder willst du lieber mit den Mädels Seil springen? Vor allem am letzten Satz merkt ihr, irgendwie war da die Erwartung, Jungs müssen halt Fußball spielen. Das hat mich damals schon total genervt. Ich meine, ich bin ein Junge, mag keinen Fußball, und dann bin ich plötzlich keiner mehr, oder wie? Sorry, aber was soll das für eine bescheuerte Logik sein?

Und überhaupt, wieso sollen denn andere bestimmen können, ob ich ein richtiger Junge oder ausreichend männlich bin oder so? Dieses Thema beschäftigt mich heute noch. Und deswegen geht es in dieser Folge unter anderem darum, was die Gesellschaft, also die Menschen um uns herum, aufgrund unseres Geschlechts von uns erwarten und warum das so ist.

Und ihr erfahrt, wie ihr mit diesen Erwartungen der anderen umgehen könnt. Ihr hört Wissen drin, den Podcast von PUR+ mit mir, Eric. Ich bin auf der Suche nach Antworten, die sich oft nur durch Ausprobieren oder genaues Hinschauen finden lassen. Meine Mission, was andere nur wissen, will ich mit euch erleben.

Wir starten mit einem kleinen Experiment. Schließt mal die Augen und stellt euch eine Familie vor. Mit Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Wie könnten die wohl aussehen? Passt auf, ich nenne euch mal ein paar einfache, äußerliche Merkmale und ihr überlegt, welches zu wem gehört. Eine Person trägt Nagellack. Eine Person trägt einen Anzug mit Krawatte. Eine Person hat ein Skateboard unterm Arm. Und eine geflochtene Zöpfe.

Na, was glaubt ihr? Wer sieht wie aus? Habt ihr ein Bild vor Augen?

Ich vermute jetzt einfach mal, viele von euch würden sagen, Nagellack trägt vermutlich die Mutter, die geflochtenen Zöpfe die Tochter. Und den Anzug mit Krawatte, den hat der Vater an. Und das Skateboard ist natürlich dem Sohn.

Wir haben nun mal in unserem Kopf bestimmte Vorstellungen, was typisch männlich und typisch weiblich ist. Das ist, als hätten wir eine gigantische Kommode im Gehirn mit mega vielen Schubladen, in die wir die verschiedenen Merkmale einordnen. Kurze Haare, Mann. Rock und Klackerschuhe, Frau. Oder eben wie in meiner Schulzeit, Junge, Fußball. Aber woher kommen diese Schubladen in unserem Kopf?

Das ist in allererster Linie unser soziales Umfeld.

Das sagt Katja Sabisch. Sie ist Professorin für Sozialwissenschaften an der Uni Bochum und erklärt uns jetzt noch kurz, was mit soziales Umfeld eigentlich gemeint ist.

Also die Eltern, Lehrer, Lehrerinnen im Kindergarten, durch Medien, aber auch Kinderbücher.

Wir lernen durch unser soziales Umfeld und durch die Kultur, was ein typisches Mädchen ist, was ein typischer Junge ist.

Wenn ihr mal genauer darauf achtet, fällt euch schnell auf, dass es für Jungs und Mädchen sehr oft ganz bestimmte Rollen gibt. Etwa in Geschichten oder auf Bildern. Zum Beispiel den tapferen Ritter, männlich, der die hübsche und meist hilflose Prinzessin weiblich vor irgendwas rettet.

Und bei Spielzeug? Das sind Puppen, oft in knallpinken Glitzerverpackungen und Autos in blauen oder schwarzen Kartons. Oft gibt es sogar extra Mädchen- und Jungs-Abteilungen in Spielwarenläden. Nach dem Motto Puppen für die Mädels, Autos für die Jungs. Wobei ja wohl jeder und jede mit Puppen und Autos spielen darf.

Da sind wir uns sicher einig. Durch diese Umwelt, in der wir nun mal leben und aufwachsen, lernen wir also unterbewusst schon von klein auf, irgendwie scheint es da Unterschiede zu geben. Also unterschiedliche Schubladen für z.B. Mädchen und Jungs. Das fängt gleich nach der Geburt an mit der Entscheidung für einen Namen, dem dann meist jeder anhört, ob ein Mädchen oder Junge dahintersteckt. So weit, so gut, meint auch Sozialforscherin Katja Sabisch.

Also erstmal ist eine Schublade gar kein Problem, sondern hilft uns durch den Alltag.

Weil es sonst ziemlich anstrengend wäre, wenn wir alles immer wieder neu bewerten müssten.

Durch die Schubladen erkennen wir Dinge schnell und müssen nicht so viel nachdenken.

Aber wenn es dann zu Vorurteilen kommt oder zu strengen Erwartungen, du bist doch ein Mädchen, warum spielst du Fußball oder sowas, dann wird es doch problematisch. Und da sollten wir eben die Schubladen hinterfragen. Weil es kommt schon drauf an, wenn wir einen Menschen begegnen, dass wir eben nicht nur das Geschlecht sehen, sondern die Person dahinter.

Schubladen hinterfragen, das finde ich einen spannenden Gedanken. Was ist denn zum Beispiel, wenn der Ritter, von dem wir erstmal denken, er ist der Superkämpfer, gar keine Lust auf Kämpfen hat und stattdessen lieber seine Haare frisiert? Vielleicht ist er die Prinzessin, Profi in Kung Fu und sie rettet dann den Ritter vor irgendwas.

Wir alle dürfen ja schließlich so sein, wie wir wollen und deswegen sollten wir nicht vorschnell vom Geschlecht auf Charaktereigenschaften schließen und auch sonst nicht erwarten, dass alle einfach ganz langweilig eine von außen zugewiesene Rolle spielen, wie in einem Film oder Theaterstück. Auch beim Thema Liebe gibt es übrigens ganz klare Rollenerwartungen an uns. In vielen Filmen wird zum Beispiel gezeigt, wie sich ein Mann und eine Frau kennenlernen und sich dann, ihr ahnt es schon, ineinander verlieben.

Das passiert ja auch wirklich jeden Tag tausendfach auf der Welt. Aber eben nicht nur das. Nicht alle Männer stehen ja auf Frauen und nicht alle Frauen auf Männer.

Für viele Menschen ist es bei den Themen sich verlieben oder auch Jungs und Mädchen müssen so und so sein, ebenso, dass die klassischen Rollenschubladen einfach nicht passen. Sie sagen von sich, hey, ich gehöre da nicht rein. Meine Liebesschublade zum Beispiel, die sieht komplett anders aus.

In diesem Zusammenhang habt ihr vielleicht schon mal von der LGBTQ-Community gehört.

LGBTQ also L-G-B-T-Q. Das ist eine englische Abkürzung.

Wofür genau? Das erfahrt ihr jetzt in unserer Rubrik Besser Wissen drin.

L steht für lesbisch, also Frauen, die auf Frauen stehen. G für gay. Das ist der englische Ausdruck für schwul.

Damit bezeichnet man Männer, die sich in andere Männer verlieben. B steht für bisexuell, also Menschen, die auf alle Geschlechter stehen. Das T steht für trans.

Das bezieht sich nicht darauf, in wen man sich verliebt, sondern auf die eigene Identität. Klingt kompliziert? Keine Sorge, wir gehen da später nochmal genauer drauf ein.

Und das Q in LGBTQ steht für queer. Das ist ein Sammelbegriff für alles zusammen.

Ich zähle mich übrigens auch zur LGBTQ Community und gehöre zum Buchstaben G für Gay, also schwul. In der Schulzeit habe ich halt irgendwann gemerkt, dass ich gar nicht auf Mädchen stehe und mich eher in die Jungs in meinem Jahrgang verknalle. Und klar, da kam es voll oft vor, dass mich Leute in eine Schublade gesteckt haben, die mal überhaupt nicht meine ist.

Zum Beispiel, wenn mich jemand gefragt hat, ob ich nicht endlich mal eine Freundin habe.

Klassiker. Oder welche Filmschauspielerin meine Traumfrau sei, oder ob ich zur Familienfeier meine Freundin mitbringe oder alleine komme.

Mittlerweile weiß natürlich jeder Bescheid oder ich sage direkt, was Sache ist. Auch meine Podcast-Kollegin Ricarda Hofmann kennt diese Schubladen, die uns einengen, vor allem, wenn wir nicht in die passen, in die andere uns reinstecken. Sie ist lesbisch, das heißt, sie verliebt sich in Frauen.

Und vor allem in der Schulzeit verunsicherte das Ricarda total.

Bis ich eben an dem Punkt war, dass ich sagen konnte von mir, dass ich auf Frauen stehe, hatte ich schon sehr viele Identitätskrisen, Tiefs und habe mich selbst hinterfragt, weil ich nicht einordnen konnte, was das ist und warum ich die Einzige bin, die im Kino alleine ist und keinen Freund hat und ich keine Ambition hatte, einen Freund zu haben, weil mich das irgendwie überhaupt nicht berührt hat.

Ich kann das total gut nachvollziehen. Vor allem in der Pubertät weiß man oft gar nicht, ob und in wen man verliebt ist. Andert sich ja vielleicht auch immer mal wieder.

Da sind die ganzen Gefühle ziemlich verwirrend. Und dann eben dieser ganze Druck von außen.

Ein großes Problem für Ricarda war außerdem, es fehlten Vorbilder.

Damals gab es noch keine Repräsentationsfiguren. Das heißt, es gab nur, wenn man von lesbischen Frauen gesprochen hat, Hella von Sinnen. Und mehr Diversität innerhalb dieser lesbischen Community gab es nicht.

Das heißt, entweder bin ich Hella von Sinnen und das ist das Bild einer Lesbe oder ich bin nicht lesbisch.

Zumindest dachte Ricarda das damals. Falls euch der Name Hella von Sinnen nicht sagt, sie ist eine super erfolgreiche Moderatorin und Comedian. Sie hat meist zurückgegelte, fast weiße Haare und trägt oft verrückte und ziemlich auffällige Outfits.

Fragt mal eure Eltern. Ich mag die total. Ricarda konnte sich mit diesem Look aber gar nicht identifizieren.

Heute weiß sie, lesbisch sein, das kann man niemandem ansehen. Und dafür muss man auch nicht einen bestimmten Look haben. Ricarda hat zum Beispiel lange blonde Haare und trägt gerne sportlich coole Klamotten.

Also ganz anders als Hella von Sinnen. Heute gibt es zum Glück noch mehr lesbische und queere Vorbilder. Sie hat dann noch erzählt, was sie aus ihrer heutigen Sicht einem Mädchen raten würde, das gerade mitten in der Schulzeit steckt und merkt, ich glaube, ich verknall mich gerade in eine Freundin.

Vertraue dich erstmal anderen Freundinnen an, denen du vertraust, um darüber zu reden, um dich darin vielleicht so ein bisschen vertrauter zu machen. Was ist es denn genau?

Und das gilt natürlich auch für Jungs. Sprecht mit Menschen, denen ihr vertraut. Das können eure engsten Freunde, aber auch eure Eltern oder Vertrauenslehrer sein.

Und keine Panik. Nur weil man Gefühle für jemanden hat, muss man sich nicht direkt outen. So nennt man es, wenn man vor Freunden und Familie sagt, ich bin lesbisch oder auch schwul, bisexuell und so weiter.

Diese Kategorien bezeichnet man auch als Label. Ob man sich outen möchte oder nicht, und vor allem wann, das kann jede und jeder für sich selbst entscheiden. Ricarda hat zum Beispiel ihren Eltern mit 24 erzählt, dass sie lesbisch ist.

Andere erzählen das viel früher oder auch viel später.

Labels sind ja so ein sehr persönliches Ding. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es hilft. Mir hat es zumindest sehr geholfen, mich labeln zu können, um Klarheit zu kriegen, was ich bin, wen ich liebe. warum ich wie bin.

Und andere hingegen wollen das gar nicht. Und das ist auch völlig fein. Und am Ende des Tages ist ja das große Ziel, sich nicht mehr labeln zu müssen, weil Menschen Menschen lieben können.

Schön gesagt, Ricarda, egal ob man jetzt queer ist oder nicht, wichtig ist, dass wir andere nicht verurteilen und verstehen, dass die Welt total vielfältig ist. Wir können alle wir selbst sein und müssen uns nicht verstellen.

Wie wichtig es ist, zu sich selbst zu stehen und sich nicht zu verstecken, das hat auch Nick gelernt. Nick hat kurze, dunkle Haare, hört gerne Rockmusik und trägt an seinem Arm ganz viele Festivalbändchen. Mit seiner Geschichte kommen wir jetzt zu dem T aus LGBTQ+, das steht nämlich für trans und bezieht sich damit auf die Geschlechtsidentität.

Ich hab mich nie wirklich für Pferde, Babys oder so interessiert. Ich war aber auch kein Fan von Rennautos oder Fußball oder so was.

Das klingt jetzt so ein bisschen wie meine Geschichte vom Anfang, die mit dem Fußball und ob man in die Jungs-Cliquen passt oder nicht. Bei Nick geht es aber nicht um Interessen und Neigungen, sondern das ganze Sein, denn er ist ein Transjunge. Das heißt, als Nick auf die Welt kam, wurde ihm biologisch das Geschlecht weiblich zugeordnet.

Als Nick dann aber älter wurde, hat er gemerkt, er fühlt sich überhaupt nicht wie ein Mädchen.

Für Nick gab es da eine Situation, die besonders prägend war.

Also an eine Sache kann ich mich erinnern, und zwar hat mein Bruder Kommunion, da war ich elf, glaube ich, und ich sollte ein Kleid anziehen.

Damals nehmen Nicks Familie und Freunde ihn noch als Mädchen wahr.

Aber ich wollte absolut kein Kleid anziehen, aber ich muss es anziehen. Und ich war so unzufrieden, sofort als wir zu Hause waren, habe ich es ausgezogen.

Aber Nick geht es nicht einfach nur um das Kleid. Da steckt noch viel mehr dahinter. Er hat das Gefühl, von seiner Familie und den Freunden nicht so gesehen zu werden, wie er wirklich ist.

Und das will er andern.

Kurz danach habe ich mir die Haare abgeschnitten und habe dann auch angefangen, nur Jungssachen anzutragen, weil ich gemerkt habe, ich fühle mich einfach so viel wohler.

Und dann passiert kurze Zeit später etwas, was sein Leben für immer verändert.

Mit 12 habe ich eine Kurzrapportage, eine Doku über einen Trans-Mann gesehen. Und ich konnte mich damit super identifizieren. Also ich wusste sofort, das bin ich auch.

Ich wusste nicht, dass es so was gibt. Und diese Doku hat mir quasi die Augen geöffnet.

Endlich weiß Nick, warum er sich fühlt, wie er sich fühlt. Er ist trans. Dass er in der Schule jetzt aber nur noch Jungs-Klamotten trägt, führt zu unangenehmen Situationen.

Denn auf die Jungs Toilette darf er ja trotzdem nicht. Gleichzeitig kennt ihn ja nicht jeder. Es wissen also gar nicht alle auf der Schule, dass er offiziell als Mädchen gilt.

Und dann musste ich sie dann dabei nur auf die Mädchentoilette geben. Die Leute da dachten halt, ich bin ein Junge. Und haben mich alle teils blöd angeguckt. Und ich war, mir war das total unangenehm. Weil ich wollte ja auch eigentlich gar nicht auf diese Toilette gehen.

Für Nick ist das sehr schwer. In der Schule hat er ab und an Panikattacken.

Nick ist sich sicher, er ist ein Junge. Aber er findet noch nicht den Mut, sich anderen anzuvertrauen. Er hat Angst, dass seine Familie und seine Freunde das nicht verstehen.

Ich war sehr ruhig, hab mich eigentlich aus allem rausgehalten, war halt sehr still und war viel zu Hause, viel vom Fernseher, viel vom Handy. Hab kaum was mit Freunden oder Familie gemacht, war generell sehr unmotiviert, hatte eigentlich gar nichts mehr Lust. Und wollte eigentlich den ganzen Tag nur zu Hause sein.

Diese negativen Gefühle werden immer schlimmer.

Ich würde sagen, dass das so die schlimmste Zeit in meinem jetzigen Leben war, weil ich nicht wusste, was ich machen soll. Weil ich wusste, dass dieser Körper falsch ist, dass ich nicht bin.

Aber ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll.

Auch Nicks Mutter merkt in dieser Zeit, dass es ihrem Kind nicht gut geht und dass irgendwas nicht stimmt.

Von meiner Mutter hatte ich ein richtiges Outing, weil sie eigentlich auf mich zugekommen ist und mich gefragt hat, du musst mir jetzt mal sagen, was los ist.

Bei Nicks Outing geht es nicht darum, ob er auf Jungs oder Mädchen steht, sondern welches Geschlecht er tief in sich drin fühlt. Nachdem Nicks Mama ihn fragt, was los ist, erzählt Nick ihr alles.

Ja, das war irgendwo natürlich schwierig, aber auch eine Erleichterung. Einfach zu wissen, so, dann können wir jetzt darauf aufbauen, können wir jetzt gucken, wie wir damit umgehen.

Nick ist total glücklich, dass seine Mutter so gut reagiert hat. Und dann beschließt er, auch mit seinem Vater zu reden.

Bei meinem Vater war ich sehr nervös, weil er ist damit jetzt nicht schlecht umgegangen. Aber für ihn war das schwieriger als meine Mutter, weil er halt immer eine Tochter haben wollte.

Das klingt erst mal hart. Auch Nicks Vater hat uns erzählt, wie er die ganze Situation erlebt hat.

Das ist erst mal komisch, das muss man ganz ehrlich sagen. Ich hatte auch gewisse Ängste für die Zukunft. Die haben sich dann aber, je mehr man sich mit dem Thema befasst hat, desto mehr haben die sich herausgestellt, dass sie eigentlich gar nicht braucht, diese Besorgnis.

Nachdem seine Familie Bescheid weiß, steht schon der nächste große Schritt an. Die Schule.

Ich war vor dem Outing in der Klasse mega nervös.

Aber Nick macht es dann einfach. Er vertraut sich seinen Klassenlehrern an.

Die haben dann gesagt, wir geben dir eine Stunde. Dann habe ich es erzählt. Die haben dann alle geklatscht und haben dann auch ein paar Fragen gestellt.

Das fand ich super, dass sie Interesse gezeigt haben.

Wenn Nick von dieser Situation erzählt, merkt man richtig, was für ein riesiger Stein ihm damals vom Herzen gefallen ist. Ab sofort sprechen ihn alle in der Schule als Nick an. Seine Reise ist aber noch nicht vorbei.

Nick will auch seinen Körper an sein Geschlecht anpassen. Deswegen geht er gemeinsam mit seinen Eltern zum Hausarzt, der Nick ein Zentrum für Transidentität empfiehlt. Dort wird er medizinisch und psychologisch betreut und beraten, zwei Jahre lang.

Die Behandlung, auf die er hier vorbereitet wird, kann nie wieder rückgängig gemacht werden.

Deswegen wird genau geprüft, ob er sich wirklich zu 100% sicher ist, für immer ein Leben als Mann führen zu wollen.

Dann geht es los. Er bekommt Medikamente verschrieben, sogenannte Pubertätsblocker. Die sorgen dafür, dass die weibliche Pubertät bei ihm unterdrückt wird.

Normalerweise wachsen weiblichen Körpern ja in der Pubertät Brüste. Die Pubertätsblocker halten das bei Nick aber auf. Außerdem bekommt Nick Spritzen mit Testosteron.

Das ist ein Hormon, das unter anderem die Entstehung von männlichen Geschlechtsmerkmalen bewirkt. So wird sein Körper immer männlicher. Was das im Einzelnen bedeutet, erklärt uns sein Arzt.

Wir erwarten, dass er eine tiefe Stimme bekommt. Er wird eine verstärkte Körperbehaarung sicherlich bekommen. Die Hautunreinheiten werden eventuell, wie es in der Pubertät üblich ist, bei Jungs auch zunehmen.

Nick kommt in den Stimmbruch und seine Stimme wird immer tiefer. Außerdem wachsen bei ihm Brust- und Barthaare.

Und das Testosteron sorgt auch dafür, dass die weiblichen Geschlechtshormone, die Östrogene, in seinem Körper immer weniger werden.

Hi, ich bin Nick und das ist meine Stimme ein Tag auf Testosteron.

So, und jetzt machen wir einen kleinen Zeitsprung von einem Jahr. Jetzt hört mal, was Nick ein Jahr später für eine Veränderung durchgemacht hat.

Hey, ich bin Nick und das ist meine Stimme ein Jahr auf Testosteron.

Krass, oder? Nicks Stimme ist dunkler geworden. Und wenn man Fotos vergleicht, sieht man, dass sein Gesicht viel markanter aussieht.

Und auch seine Freunde merken einen riesigen Unterschied.

Nick ist im Moment so glücklich, weil er einfach sein kann, wie er ist. Weil halt, das haben alle auch so gut aufgenommen, dass er jetzt so ist, wie er ist.

Und das Problem mit den Toiletten, das hat Nick auch nicht mehr.

In der Schule gehe ich halt seit meinem Outing auf die Jungstoilette und da gibt es auch keine Probleme. Und generell, mit meinem Outing gehe ich immer und überall auf die Männertoilette.

Also das ist gar kein Problem mehr.

Nick weiß, es war die richtige Entscheidung, sich seiner Familie und den Freunden anzuvertrauen. Er blickt jetzt positiv in die Zukunft.

Ich habe meine Namensänderung beantragt, also dass mein Name offiziell geändert wird. Ich freue mich eigentlich auf alles, was kommt. Und ich freue mich auch, dass es jetzt mit den Testosteron, das schnell vorangeht, alles so klappt, wie ich mir das vorgestellt habe.

Danke, Nick, dass du deine Story mit uns geteilt hast. Ja und danke an euch, dass ihr euch diese Folge angehört habt. Mir war es total wichtig, aus diesem Thema eine Wissen drin Folge zu machen.

Vielleicht, weil ich so ein ganz kleines bisschen denke, boah, das wäre schon cool gewesen, wenn mir das in der Schulzeit jemand mal genauer erklärt hätte. Also, dass wir alle viel mehr sind als die Schubladen, in die uns andere stecken wollen. Egal, in wen wir uns verlieben, welches Geschlecht wir haben, was wir gerne mögen oder nicht mögen, wir entscheiden, wie wir sein wollen.

Also, um es auf den Punkt zu bringen, ihr seid gut genau so, wie ihr seid.

Das war PUR+ Wissendrin, mit mir, Eric. Und falls ihr es noch nicht getan habt, abonniert unseren Podcast, damit ihr keine Folge verpasst. Oder schaut doch mal in unserer Mediathek auf zdftivi.de vorbei. PUR+ Wissendrin mit Eric ist eine Produktion von Kugel und Niere. Im Auftrag des ZDF und der Redaktion PUR+.